By using this website, you agree to the use of cookies as described in our Privacy Policy.

Schweizer Leitlinien zum Schutz von Menschenrechtsverteidigern

1.1. Ausgangslage und Ziele 

Das Engagement der Schweiz zugunsten von Menschenrechtsverteidigern (MRV) basiert auf einer soliden Rechtsgrundlage: dem Auftrag der Bundesverfassung, die Freiheit und die Rechte des Volkes zu schützen (Art. 2 Abs. 1) und zur Achtung der Menschenrechte beizutragen (Art. 54 Abs. 2). Dieser Auftrag wird unter anderem durch das Bundesgesetz über Massnahmen zur zivilen Friedensförderung und Stärkung der Menschenrechte konkretisiert, dass insbesondere eine Stärkung der Förderung und des Schutzes der Menschenrechte zum Ziel hat, bei der die MRV eine wesentliche Rolle spielen. Das wichtigste Referenzdokument auf internationaler Ebene ist die Erklärung der UNO/UN zum Schutz von MRV von 1998. 

Auf der strategischen Ebene bildet die Förderung der Menschenrechte einen wesentlichen Bestandteil der schweizerischen Aussenpolitik. Die Menschenrechtsstrategie des EDA ist das zentrale Instrument zur Umsetzung des Schweizer Engagements für die Menschenrechte. Als Einzelpersonen, die sich für die Förderung der Menschenrechte einsetzen, nehmen die MRV darin einen zentralen Platz ein. 

In vielen Ländern ist eine Tendenz zu beobachten, die Freiheitsrechte einzuschränken und die Rolle und den HandlungsSpielraum nichtstaatlicher Akteure zu beschneiden, insbesondere bei Wahlverfahren oder öffentlichen Veranstaltungen. Mitunter werden Gesetze und administrative Auflagen angepasst, um den MRV die Registrierung als anerkannte NGO und die Entgegennahme finanzieller Zuwendungen aus dem Ausland zu verwehren, oder ihre Vereinigungen ganz zu verbieten. Ausserdem nehmen die Regierungen in einer Reihe von Ländern Strategien zur Terrorismusbekämpfung zum Vorwand, um die Freiheitsrechte einzuschränken und die Rolle der NGO zu schmälern. In solchen Kontexten werden MRV oft als Erste zur Zielscheibe von Drohungen und Angriffen und ihr Handlungsspielraum wird immer enger und komplexer. 

Vor diesem Hintergrund haben die vorliegenden Leitlinien zum Ziel: 

1. die Mitarbeitenden der Auslandvertretungen und jene an der Zentrale für die Problematik der MRV zu sensibilisieren 

2. einen einheitlichen Ansatz auf bilateraler und multilateraler Ebene zu fördern, um die MRV besser zu schützen 

3. konkrete Handlungsansätze zu entwickeln, um sicherzustellen, dass MRV wirksame und systematische Unterstützung erhalten. 

1.2. MRV: Definition und Hintergrund 

Definition 

In diesen Leitlinien sind Menschenrechtsverteidigerinnen und verteidiger als Personen definiert, die sich einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen für die Förderung, die Verteidigung und die Verwirklichung der Menschenrechte einsetzen oder darauf hinwirken, sei es auf lokaler, nationaler oder internationaler Ebene. 

Die Frage, welche Kriterien MRV erfüllen müssen, um als solche betrachtet zu werden, ist nicht einfach zu beantworten. Das 

UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) stellt gestützt auf die UN-Erklärung zum Schutz von MRV folgende Kriterien ins Zentrum: 

• MRV setzen sich für Anliegen im Bereich der Menschenrechte ein. 

• MRV anerkennen die Universalität der Menschenrechte: Menschenrechte sind allgemeingültig und unteilbar, bedingen einander und sind miteinander verknüpft. 

• Ihr Engagement erfolgt gewaltlos: MRV müssen auf friedliche Art und Weise vorgehen, um vom Schutz der UN-Erklärung erfasst zu sein.

Die Schweiz anerkennt die positive und wesentliche Rolle der MRV für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte und des Rechtsstaats. Neben ihrem Engagement für den Schutz der Rechte der verletzlichsten Bevölkerungsgruppen spielen die MRV eine wichtige Rolle bei der Ausarbeitung von Gesetzen, beispielsweise zugunsten der Geschlechtergleichstellung oder von Minderheiten. Sie tragen damit konkret zur Verbesserung der Lage der betroffenen Bevölkerungsgruppen in ihrer Region oder ihrem Land bei. MRV leisten einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung der international anerkannten Menschenrechtsnormen. Dieses Engagement beinhaltet beispielsweise: 

• den Kampf gegen Straflosigkeit; 

• die Wiedergutmachung für Opfer von Menschenrechtsverletzungen (insbesondere durch juristische und medizinische Unterstützung); 

• die Dokumentation von Verletzungen der Menschenrechte;

• die öffentliche Stellungnahme zugunsten der Menschenrechte 

Bei ihrem Kampf für die Menschenrechte nehmen MRV in vielen Ländern grosse Risiken und viele persönliche Opfer auf sich. Ihr friedliches Engagement wird bisweilen mit gewaltsamer Repression erwidert. MRV und ihre Angehörigen werden oftmals von staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren eingeschüchtert, bedroht, in ihrer Tätigkeit behindert, illegal durchsucht, physisch angegriffen oder willkürlich inhaftiert und verurteilt. Die Erfahrung zeigt, dass die Polizei und andere Sicherheitsbehörden zu den wesentlichen Urhebern von Gewalt gegenüber MRV zählen. Weibliche MRV, Personen, die sich für die Rechte von lesbischen, schwulen, bi, trans und intersexuellen Menschen (LGBT) oder für die Rechte indigener Völker einsetzen, sowie Landrechts und Umweltaktivisten sind dabei besonders exponiert. 

Menschenrechtsverteidigerinnen 

(Women Human Rights Defenders, WHRD) sind Frauen, die sich für die Achtung, Förderung und Umsetzung der Menschenrechte einsetzen. Darüber hinaus erstreckt sich die Definition auf alle Personen, unabhängig von ihrem Geschlecht, die sich für die Rechte der Frauen, die Gleichstellung der Geschlechter und das Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit engagieren. 

WHRD sind geschlechtsspezifischen Bedrohungen wie sexistischen Übergriffen, Vergewaltigungen oder anderen Formen von sexueller Gewalt ausgesetzt. Weil sie nicht den vorherrschenden soziokulturellen Normen entsprechen, setzen sich WHRD der Stigmatisierung durch ihre Gemeinschaften aus.

Die Schweiz setzt sich dafür ein, dass WHRD auf multilateraler Ebene und in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen und anerkannt werden, damit sie sich frei äussern und ihr Engagement ohne Angst vor Repressalien gegen sie, ihre Familien oder ihre Gemeinschaften fortsetzen können. 

1.3. Internationale Instrumente 

Die Tätigkeit der MRV ist unter anderem durch die beiden UN-Pakte von 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Pakt I) sowie über bürgerliche und politische Rechte (Pakt II) legitimiert, die von der Schweiz und der Mehrzahl der Staaten ratifiziert wurden, sowie durch die Erklärung der Vereinten Nationen von 1998 zum Schutz von MRV. 

Auf Initiative Norwegens und mit Unterstützung zahlreicher gleichgesinnter Staaten – unter anderem der Schweiz – wurde 2000 das Mandat des UNO-Sonderberichterstatters für MRV geschaffen. Regionale Mechanismen wie die Organisation +Amerikanischer Staaten (OAS), die Afrikanische Union (AU), die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der Europarat (ER) und die Europäische Union (EU) tragen ebenfalls aktiv zum Schutz von MRV bei, beispielsweise durch die Ernennung eines Sonderberichterstatters zu diesen Themen oder durch die Veröffentlichung eigener Leitlinien. 

Mehrere Staaten haben ebenfalls solche Leitlinien zum Schutz von MRV erlassen, darunter Finnland, Grossbritannien, Kanada und Norwegen. Andere Staaten haben verbindliche Gesetze zum Schutz von MRV verabschiedet, so etwa die Elfenbeinküste, Burkina Faso, Mali, Honduras und Mexiko. 

1.4. Rolle der Schweiz 

Es ist in erster Linie eine staatliche Pflicht, die Menschenrechte zu schützen, zu fördern und wirksam umzusetzen. Daraus resultiert die spezifische Pflicht, auch die MRV zu schützen. Die Schweiz setzt sich für die Rechte der MRV ein, unabhängig davon, wo diese tätig sind. 

Die Schweiz engagiert sich für mehr Handlungsspielraum und Handlungsmöglichkeiten der MRV. Die Schweizer Auslandsvertretungen sind wertvolle Ansprechpartner der MRV. Das vorliegende Dokument soll ihnen eine Reihe von bewährten Handlungsansätzen und Best Practices zur Verfügung stellen, die je nach Situation und Kontext im Gastland angewendet werden können. 

1.5. Instrumente des Schweizer Aussennetzes 

Die vorliegenden Leitlinien richten sich in erster Linie an die Schweizer Auslandvertretungen. Botschaften, Konsulate und Kooperationsbüros sind wichtige Anlaufstellen für MRV. Wenn eine Auslandvertretung zugunsten einer bzw. eines bedrohten MRV aktiv wird, ist es wichtig, dass diese Aktion mit der expliziten Zustimmung der betroffenen Person, ihres engen Umfelds oder, falls eine Kommunikation mit ihr nicht möglich ist, der Organisationen, die ihre Interessen vertreten, erfolgt. Art und Modalitäten des Schutzes der MRV variieren je nach lokalem Kontext, und die Massnahmen sind entsprechend anzupassen. Beispiele für bewährte Verfahren sind im Anhang zu diesem Dokument zu finden. 

Besonders angezeigt ist eine Intervention in folgenden Situationen: wenn die Schweiz eine gewisse Nähe zu einer/einem MRV unterhält (regelmässiger Ansprechpartner der Vertretung, Projektpartner, Mitglied einer Organisation mit Verbindungen zur Schweiz); wenn die Schweiz bereits zugunsten dieser/dieses MRV interveniert hat; wenn sich die/ der MRV für vorrangige Anliegen der Schweiz einsetzt (Abschaffung der Todesstrafe, Bekämpfung von Folter, Frauenrechte, Meinungsfreiheit, Versammlungs und Vereinigungsfreiheit); wenn die/der MRV an der Teilnahme an einer internationalen Konferenz in Genf gehindert wird; und wenn die/der MRV aufgrund der Verleihung einer Auszeichnung für ihre bzw. seine Arbeit in Gefahr gerät. 

In anderen Fällen sind vor einer etwaigen Intervention vertiefte Abklärungen erforderlich, zum Beispiel bei MRV, die in der Vergangenheit ein gewalttätiges Verhalten gezeigt haben, oder bei MRV, die in der Politik, insbesondere im Rahmen von Wahlen, engagiert sind. 

Rolle der Zentrale 

In den Fällen, in denen Aktivitäten zugunsten von MRV zum Arbeitsalltag einer Vertretung gehören (Treffen, Einladungen in die Vertretung, Feldbesuche, Informationsbeschaffung, Erstellung von Berichten usw.), eingehalten kann die Vertretung gestützt auf diese Leitlinien eigenverantwortlich handeln. 

Wenn der Schutz von MRV die Kontaktaufnahme mit den Behörden oder eine öffentliche Intervention erfordert, sind die Sektion Menschenrechtspolitik (MRP) der Abteilung Menschliche Sicherheit (AMS) und die zuständige geografische Abteilung zu konsultieren; falls die Medien involviert sind, zusätzlich auch Information EDA. In Fällen, in denen die Intervention Auswirkungen auf die bilateralen Beziehungen haben könnte, ist zwingend die Zustimmung der Linie einzuholen. 

Rolle der Vertretungen 

• Sie kennen die vor Ort tätigen MRV und Akteure der Zivilgesellschaft sowie die etwaigen Herausforderungen, mit denen diese konfrontiert sind. 

• Sie anerkennen öffentlich die Arbeit der MRV, insbesondere die legitime und wichtige Arbeit von WHRD, und setzen sich für deren Schutz ein. 

• • Sie setzen sich aktiv für WHRD und für all jene Personen ein, die sich für Frauenrechte sowie für andere besonders verletzliche Gruppen wie ethnische Minderheiten, indigene Völker, Migrantinnen und Migranten sowie für LGBTIRechte und Landrechte engagieren. 

• Sie rufen dazu auf, dass die völkerrechtlichen Bestimmungen zum Schutz von MRV auch tatsächlich werden. 

• Die Auslandvertretungen können die nationalen Behörden auffordern: 

• Den Dialog mit den MRV zu suchen, gegebenenfalls in Form regelmässiger institutionalisierter Konsultationen. 

• Schutzprogramme für MRV zu entwickeln und diese konsequent einzuhalten. 

• Die relevanten internationalen Abkommen zu ratifizieren, denen der Staat noch nicht beigetreten ist, die nationale Gesetzgebung entsprechend den internationalen Verpflichtungen anzupassen und die Arbeit von MRV nicht zu beeinträchtigen oder zu kriminalisieren. 

• Die Umsetzung der UN-Erklärung zum Schutz von MRV auf nationaler Ebene zu fördern.

• Darauf hinzuwirken, dass Diffamierungen von MRV sowie Bedrohungen und Angriffe gegen MRV untersucht und strafrechtlich verfolgt werden. 

• Sicherzustellen, dass die Sicherheitskräfte, insbesondere Polizei und Armee, in Bezug auf die Achtung der Menschenrechte geschult werden und diese jederzeit achten. 

• Die UNO-Sonderberichterstatterin bzw. den UNO-Sonderberichterstatter für MRV sowie die Mandatsträger der regionalen Mechanismen zu Länderbesuchen einzuladen und deren Empfehlungen umzusetzen. 

• Menschenrechtsverstösse und verletzungen sowie Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht in Situationen bewaffneter Konflikte öffentlich anzuprangern. 

• Mit der nationalen Menschenrechtsinstitution zusammenzuarbeiten, um die MRV zu fördern und zu schützen. 

• Die Zivilgesellschaft vor Ort zu unterstützen und sie konsequent in relevante Entscheidungsprozesse einzubeziehen. 

1.6. Relevante Akteure 

a. Staat Grundsätzlich ist der Staat die zentrale Rechtsfigur des Völkerrechts. Bindende völkerrechtliche Verpflichtungen ergeben sich aus Völkerrechtsverträgen (z. B. Pakt I und II), aus dem Völkergewohnheitsrecht sowie aus dem zwingenden Völkerrecht (ius cogens; z. B. das Folterverbot). Daraus resultiert die staatliche Pflicht, Menschenrechte einzuhalten, zu schützen und durchzusetzen.

b. NGO Die Schweiz anerkennt die wesentliche Rolle unabhängiger und freier NGO, die auch darin bestehen kann, staatliches Handeln kritisch zu verfolgen. Darüber hinaus spielen die NGO eine wichtige Rolle bei der Übermittlung der Anliegen der von ihnen vertretenen Bevölkerungsgruppen an die Regierung. Die NGO spielen daher eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Umsetzung, der Förderung und der Weiterentwicklung der Menschenrechte. 

c. Unternehmen Um die Schutzmechanismen für die MRV zu verbessern, ist es von zentraler Bedeutung, auch nichtstaatliche Akteure in die Pflicht zu nehmen. Wenn Unternehmen nicht verantwortungsvoll geführt werden, können ihre privaten Wirtschaftsinteressen einen negativen Einfluss auf die Menschenrechte, insbesondere auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte, haben. 

Umgekehrt können verantwortungsbewusst agierende Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte beitragen, indem sie beispielsweise bei den Behörden intervenieren, um bedrohte MRV zu schützen, oder indem sie ein positives Beispiel in ihrer Branche abgeben. 

Die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte haben sich seit ihrer Verabschiedung im Jahr 2011 zu einer wichtigen Referenz im Bereich Wirtschaft und Menschenrechte entwickelt. Der Bundesrat hat einen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien verabschiedet. Der Bundesrat erwartet von den in der Schweiz ansässigen und/oder tätigen Unternehmen, dass sie in der Schweiz und überall, wo sie tätig sind, ihrer menschenrechtlichen Verantwortung nachkommen. Schweizer Unternehmen sollen durch ihre Tätigkeiten keine nachteiligen Auswirkungen auf Menschenrechte verursachen.

• Staatliche Berichterstattung. 

Berichte der UN, in erster Linie Berichte der UNO-Sonderberichterstatterin bzw.: 

d) Weitere vor Ort präsente internationale Akteure egal, ob es sich um Büros internationaler Organisationen wie der UN oder um Vertretungen anderer Staaten handelt: 

Die Zusammenarbeit mit im Land präsenten ausländischen Akteuren kann einen erheblichen Mehrwert für den Schutz von MRV bringen. Je nach Kontext kann dies den Austausch von Informationen und Analysen, die Koordination bei der Überwachung der Situation von MRV oder gemeinsame Massnahmen beinhalten. Die Vorteile für die Schweizer Vertretung sind eine reduzierte Exposition gegenüber dem Gastland, eine bessere Verteilung der Arbeitslast und letztlich eine stärkere Wirkung. Die Vor und Nachteile einer Zusammenarbeit sind im Einzelfall zu prüfen und mögliche gemeinsame Massnahmen mit der Zentrale abzustimmen. 

e) Multilaterale Gremien Multilaterale Menschenrechtsgremien wie der Menschenrechtsrat (MRR) und der Dritte Ausschuss der UNO-Generalversammlung bilden ein weiteres Handlungsfeld, insbesondere die im Rahmen der allgemeinen regelmässigen Überprüfung (Universal Periodic Review, UPR) formulierten Empfehlungen. Ausserdem sind mehrere Resolutionen und Beschlüsse der UNO, der OSZE und des Europarates spezifisch dem Schutz der MRV gewidmet. Die Schweiz beteiligte sich stets intensiv an der Aushandlung der entsprechenden Texte.

1.7. Informationsbeschaffung und Berichterstattung 

Die MRV spielen bei der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen eine zentrale Rolle. Der regelmässige Informationsaustausch mit anderen Akteuren vor Ort und die Berichterstattung an die Zentrale in Bern sind wesentliche Voraussetzungen für die konkrete Unterstützung von MRV. Der Zeitfaktor ist zentral. Eine grosse Herausforderung im Umgang mit MRV besteht darin, eine Bedrohungssituation rasch einschätzen zu können und über glaubwürdige Information zu verfügen. Ein breites und flexibles Netz von zuverlässigen Informationsquellen ist dabei hilfreich. In einigen Fällen können dank solcher Informationen potentiell ungünstige Entwicklungen für MRV antizipiert werden. Einschränkungen des demokratischen Raums sind Warnzeichen für mögliche repressive Massnahmen gegen MRV. Bestimmte Zeitabschnitte, insbesondere um Wahlen herum, können für die Arbeit und die Sicherheit von MRV besonders heikel sein. Dank dieser Informationsarbeit können die Schweizer Auslandvertretungen diesen Risiken präventiv entgegentreten und Notsituationen verhindern. 

Die Situation von MRV soll in den jährlichen Menschenrechtsbericht der Auslandvertretungen einfliessen. In akuten Bedrohungssituationen ist 13 zudem eine AdhocBerichterstattung an die AMS (Sektion Menschenrechtspolitik) notwendig. Die Sektion steht für Auskünfte zur Verfügung und unterstützt die Vertretungen mit ihrem Knowhow im Bereich der MRV (siehe Kapitel 3). Selbstverständlich steht es den Auslandvertretungen frei, konkrete Empfehlungen zum weiteren Vorgehen abzugeben (z. B. Demarchen oder Pressemitteilungen).

Informationsquellen 

• des UNO-Sonderberichterstatters für MRV, der regionalen Menschenrechtsmechanismen, der Allgemeinen regelmässigen Überprüfung (UPR) sowie die Berichte zuhanden der entsprechenden Vertragsorgane. 

• Diplomatische Auslandvertretungen von gleich gesinnten Staaten vor Ort. 

• Internationale und regionale Institutionen vor Ort, insbesondere die Büros des OHCHR und von regionalen Organisationen (OAS, AU, OSZE usw.). 

• Nationale Menschenrechtsinstitutionen. 

• Lokale und internationale NGO und MRV. 

• Zuverlässige und verifizierbare Presseberichte 

• Social Media sollten mit Vorsicht genutzt und die Informationen sorgfältig überprüft werden. 

 

1.8. Direkte Kontakte mit MRV 

Der direkte Kontakt mit Auslandsvertretungen kann für MRV oftmals ein wichtiges Schutzinstrument sein. Die internationale Aufmerksamkeit und die öffentliche Unterstützung können ihre Arbeit legitimieren und effektiv zu ihrer Sicherheit beitragen. Dennoch sollte jede Kontaktaufnahme dem lokalen Kontext angepasst und zwischen den Vertreterinnen und Vertretern der internationalen Gemeinschaft abgesprochen sein. Mögliche negative Konsequenzen für MRV oder für deren Familien, welche durch ein sichtbares Engagement der internationalen Gemeinschaft verursacht werden können, sollen in jedem Fall vermieden werden. Solche Konsequenzen müssen im Gespräch mit der betroffenen Person und vor dem Hintergrund des jeweiligen lokalen Kontextes eingeschätzt werden. Zudem gilt es, je nach Situation den passenden Ort auszuwählen und die MRV über Sicherheitsvorkehrungen und konkrete Schutzmassnahmen, welche sie selbst ergreifen können, zu informieren. Die Internetsicherheit ist dabei ein wichtiger Faktor, den es zu berücksichtigen gilt. Neben den vom Bund bereitgestellten Systemen (SecureMail, TC) ermöglichen verschiedene Anwendungen ebenfalls eine sichere digitale Kommunikation. 

Mögliche Kontakte mit MRV 

• Teilnahme an Seminaren und Treffen: Die Teilnahme von Auslandvertretungen an von MRV organisierten Seminaren, Treffen oder Pressekonferenzen stellt ein Zeichen der Solidarität und der Unterstützung dar. 

• Bilaterale Treffen: Der Austausch mit MRV zur Erörterung ihrer Situation kann sich positiv auf die Anerkennung ihrer Arbeit auswirken und dient insbesondere im Zusammenhang mit der Erstellung des Menschenrechtsberichts der Vertretung zur Informationsbeschaffung. 

• Einladung von MRV zu Anlässen: zum Beispiel anlässlich des Nationalfeiertags, oder der internationalen Tage der MRV (9. Dezember), der Menschenrechte (10. Dezember) oder der Frau (8. März). 

• «Safe space»: Die Vertretung kann Sitzungsräume zur Verfügung stellen, um den MRV einen sicheren Ort für Treffen zu bieten, allein unter sich oder mit ihren Partnern.

• Besuche bei MRV in ländlichen Gebieten: MRV, die in ländlichen Gebieten weit weg von den Hauptstädten leben, sind ebenfalls auf internationale Unterstützung angewiesen. 14 MRV des Standing Rock Sioux Tribe sind während den North Dakota PipelineProtesten auf ihrem Weg zu einer heiligen Stätte. (Front Line Defenders, September 2016) 15 Besuche der Vertretung vor Ort, allein oder mit anderen Partnern, unterstützen die MRV und stärken ihren Schutz. 

• Prozessbeobachtungen bei Gerichtsverfahren gegen MRV: Eine internationale Präsenz soll ein faires Verfahren garantieren und Verstösse gegen Prozessvorschriften sowie gegen internationale Menschenrechtsnormen anprangern. 

• Gefängnisbesuche: Der Besuch bei einer inhaftierten Person zeigt, dass sie nicht in Vergessenheit geraten ist. Ferner kann damit die Einhaltung von Mindeststandards in den Gefängnissen überprüft werden. Zudem wäre es wünschenswert, dass die Vertretungen Fälle willkürlicher Inhaftierung öffentlich anprangern. 

• Rückkehr/Einreise ins Heimatland: Besteht die Gefahr, dass MRV bei der Rückkehr ins Heimatland Schwierigkeiten haben könnten, kann die Auslandvertretung die Personen am Flughafen abholen. 

• Informationsübermittlung: Vertrauliche Informationen können in Ausnahmefällen und nach Rücksprache mit der/dem MRV und/oder ihrer/seiner Familie über diplomatische Kanäle übermittelt werden (z. B. eine vertrauliche Mitteilung an das OHCHR).

• Vorübergehender Schutz: MRV können vorübergehend an einem sicheren Ort in der Region platziert werden. In besonders akuten Fällen, die jedoch eine Ausnahme darstellen, kann die Auslandvertretung einer bzw. einem MRV vorübergehend Schutz im Botschaftsgebäude gewähren. Siehe auch Kapitel 2.10 zur Schweizer Visumspolitik. 

Falls es keine Schweizer Auslandvertretung im Land gibt, können die Arbeiten der vor Ort ansässigen Vertretungen gleichgesinnter Staaten (z. B. EUStaaten, Norwegen), internationaler Organisationen oder NGO unterstützt werden. 

1.9. Kontakte mit den Behörden 

Die Situation von MRV kann sowohl im direkten Kontakt mit den Behörden als auch mittels diplomatischer Demarchen aufgenommen werden. Letztere können fallspezifisch oder generell erfolgen. Je nach Fall ist das Aussenministerium nicht die einzige zuständige Behörde. Auch die Ministerien, die für die Polizei, die Justiz, die Armee oder die Sicherheit zuständig sind, sowie regionale und lokale Behörden, können involviert sein. Die Behörden des Gastlandes können eine positive Rolle spielen, indem sie beispielsweise nationale Gesetze zur Anerkennung und zum Schutz von MRV erlassen. 

Mögliche Kontakte mit den Behörden des Gastlandes 

• Formelle und informelle Gespräche: Die Situation der MRV und Einzelfälle können im Rahmen von regel mässigen politischen Konsultationen, weiteren bilateralen Besuchen oder anlässlich von formellen und informellen Kontakten mit den zuständigen Behörden vor Ort erörtert werden.

• Demarchen (eventuell zusammen mit anderen diplomatischen Vertretungen): Dadurch können Botschaften übermittelt, Informationen beschafft und sogar Verhandlungen vorgeschlagen werden. Referenzdokument: Demarchen Ein Vademecum zur Systematisierung der Verwendung diplomatischer Instrumente im Fall von Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht und von Menschenrechtsverletzungen (internes Dokument) 

• Plädoyer für ein sicheres und unterstützendes Umfeld: Die Behörden von der Wichtigkeit der Tätigkeit der NGO und von der Notwendigkeit überzeugen, dass die Regierung die MRV in Wort und Tat sowie durch die Schaffung förderlicher rechtlicher Rahmenbedingungen und nationaler Schutzmechanismen unterstützt. 

1.10. Kontakte mit Schweizer Unternehmen vor Ort 

Der Nationale Aktionsplan (NAP), den die Schweiz verabschiedet hat, konkretisiert die Erwartungen des Bundesrats an die Unternehmen und beschreibt anhand von Politikinstrumenten, wie die Schweiz die UNO-Leitprinzipien umsetzen will. Das Ziel des NAP ist die Verbesserung des Menschenrechtsschutzes im Kontext wirtschaftlicher Aktivitäten. Er dient ausserdem der Sensibilisierung und der Zusammenarbeit mit Unternehmen, sowie der Verbesserung der Kohärenz staatlicher Aktivitäten. Verschiedene Schweizer Auslandvertretungen in Konfliktgebieten haben – oft auf adhocBasis – innovative Initiativen zur Förderung der sozialen Verantwortung von Schweizer Unternehmen auf der Grundlage der UNO-Leitprinzipien lanciert.

Mögliche Kontakte mit Schweizer Unternehmen 

• Sensibilisierung für die Herausforderungen, mit denen die MRV im Gastland konfrontiert sind, insbesondere im Zusammenhang mit den Aktivitäten bestimmter Unternehmen. 

• Erinnerung an die Erwartungen des Bundesrats an die Unternehmen betreffend die Einhaltung der Menschenrechte bei deren Auslandaktivitäten. 

• Im Rahmen der Beratung in Wirtschaftsfragen durch die Auslandvertretungen: Berücksichtigung der Risiken, Bedrohungen und Einschränkungen, mit denen MRV konfrontiert sind. 

1.11. Öffentliche Stellungnahmen zum Schutz von MRV 

Die Schweiz kann zugunsten von MRV öffentlich Stellung nehmen, wenn genügend gesicherte Informationen vorliegen. Sie kann auch wiederholte Drohungen gegen MRV, ein Klima der Unterdrückung, die Einschränkung der Grundfreiheiten und offene Einschüchterungen verurteilen. Hierbei gilt es zu beachten, dass das Vorgehen gegen einen einzelnen MRV oftmals einen Einfluss auf den Schutz von mehreren MRV oder ganzen Organisationen haben kann. 

Die Art und der Inhalt der Intervention seitens der Auslandvertretung sollte sich aus den internationalen Menschenrechtsverträgen (insbesondere Pakt I und II) und der UN-Erklärung zum Schutz von MRV ableiten und sich auf die häufigsten gegen MRV verübten Menschenrechtsverletzungen beziehen. 

Eine solche Intervention ist insbesondere denkbar bei Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäusserung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit sowie bei 

Fällen von Folter, willkürlichen Verhaftungen, unfairen Prozessen, aussergerichtlichen Hinrichtungen, verschwinden lassen und Morddrohungen oder anderen Einschüchterungen. 

Zudem gilt es im Einzelfall abzuwägen, ob eine/ ein MRV oder deren/dessen Familie durch eine öffentliche Äusserung nicht in zusätzliche Schwierigkeiten gerät. 

Arten von öffentlichen Interventionen 

• Medienmitteilungen: In Rücksprache mit der Zentrale kann die Auslandvertretung allein oder gemeinsam mit anderen Staaten eine Medienmitteilung veröffentlichen. Letztinstanzlich entscheidet Information EDA in Absprache mit den zuständigen Diensten über die Publikation. 

• Interviews und Gastkommentare (Opeds) in der lokalen Presse: Bei menschenrechtsrelevanten Anlässen, z. B. bei bilateralen Menschenrechtskonsultationen oder beim Besuch eines UNO-Sonderberichterstatters, sind öffentliche Stellungnahmen denkbar. Auch in diesem Fall entscheidet Information EDA über die Publikation.

1.12. Zusammenarbeit mit internationalen Akteuren, gleich gesinnten Staaten und nationalen und internationalen NGO 

Ein koordiniertes Vorgehen vor Ort oder in multilateralen Gremien, zusammen mit internationalen Akteuren, Vertretern gleichgesinnter Staaten und mit nationalen und internationalen NGO, kann die Wirkung einer Intervention zusätzlich verstärken.

Arten der Zusammenarbeit mit internationalen Akteuren 

• Kontinuierlicher Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern von gleichgesinnten Staaten sowie mit internationalen NGO, um z. B. gemeinsame Interventionen oder Feldbesuche durchzuführen oder Prozesse zu beobachten. 

• Bildung einer Arbeitsgruppe zu MRV zusammen mit Staaten, NGO und Unternehmen, die sich für deren Schutz einsetzen. Dies ermöglicht insbesondere eine bessere Koordination und Aufteilung der Arbeit zur Fallüberwachung und reduziert die Exposition der Schweiz. 

• Austausch mit den ortsansässigen UN-Organisationen, insbesondere dem UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, und dem IKRK. 

• Organisation von Rundtischgesprächen/ Briefings durch die Schweizer Vertretung und die NGO zur Sensibilisierung anderer diplomatischer Missionen für die Situation der MRV. 

• Schutz der psychosozialen Gesundheit von MRV: In Zusammenarbeit mit NGO können Massnahmen zur Weiterbildung und Begleitung durch psychosoziale Fachleute getroffen werden. Dies trägt dazu bei, dass MRV der Gefahr von BurnOuts und sekundärer Traumatisierung entgegenwirken und ihre eigene psychische und physische Gesundheit besser schützen können. 

1.13. Präsenz bei den Vereinten Nationen in Genf 

Grundsätzlich unterstützt die Schweiz die aktive Teilnahme von zivilgesellschaftlichen Organisationen in Genf, z. B. an den Sitzungen des MRR, im Rahmen der UPR und bei der Unterbreitung der Länderberichte an die Vertragsorgane der UN.

Die Beteiligung der NGO ist seit den Verhandlungen über die Schaffung und Einsetzung des MRR eine der Prioritäten der Schweiz. Mit Genf als anerkanntem Zentrum der internationalen Menschenrechtspolitik ist die Schweiz verpflichtet, die Teilnahme von MRV an den für sie relevanten Sitzungen der UNO in politischer, logistischer und finanzieller Hinsicht zu fördern. 

Weitere Informationen zur Schweizer Visumpraxis siehe Kapitel 2.10. 

1.14. Vergeltungsmaßnahmen gegen MRV 

Für die UN ist die von den MRV zur Verfügung gestellte Information aus erster Hand sehr wichtig. MRV, welche mit UNO-Institutionen oder anderen internationalen Organisationen zusammenarbeiten, ziehen jedoch vermehrt Aufmerksamkeit auf sich und können dadurch erhöhten Sicherheitsrisiken ausgesetzt sein. Die UN ist über mögliche Repressalien gegenüber MRV äusserst besorgt. Der UN-Generalsekretär hat deshalb 2016 den stellvertretenden Generalsekretär für Menschenrechte eingesetzt, der innerhalb des UN-Systems für den Schutz der Personen, die mit der UN in Menschenrechtsfragen zusammenarbeiten, vor Einschüchterung und Vergeltung zuständig ist. 

Bei MRV, welche beispielsweise vor dem UN-Menschenrechtsrat gesprochen haben, oder nach einem Besuch eines UNO-Sonderberichterstatters ist seitens der diplomatischen Gemeinschaft besondere Aufmerksamkeit erforderlich. Es ist daher sinnvoll, den MRV, die begründete Furcht vor solchen Repressalien haben, zu raten, sich vorgängig mit der Schweizer Vertretung in ihrem Heimatland in Verbindung zu setzen, damit letztere im Notfall rasch reagieren kann.

1.15. Visumpolitik 

Ziel ist es, MRV so gut wie möglich vor Ort zu schützen, damit sie frei von Bedrohungen ihrer Arbeit nachgehen können. Wenn dieser Schutz im eigenen Land nicht ausreichend sichergestellt werden kann und sie beispielsweise akut an Leib und Leben bedroht sind, gilt es rasche und unkomplizierte Lösungen zu finden. Als Ultima Ratio ist ein temporärer Aufenthalt im Ausland in Erwägung zu ziehen. Die Schweiz spricht sich, wenn immer möglich, für eine regionale Lösung aus und hilft – mit Unterstützung regionaler oder internationaler MRVNetzwerke – den betroffenen Personen, vorübergehend in eine andere Stadt oder ins nahe Ausland zu reisen. In seltenen Fällen kann es vorkommen, dass keine adäquate regionale Lösung gefunden wird und MRV einen Aufenthalt in der Schweiz beantragen, um sich in Sicherheit zu bringen. 

Je nach Situation ist in Fällen von unmittelbarer, ernsthafter und konkreter Gefährdung von Leib und Leben einer/eines MRV von einem kürzeren oder längeren Aufenthalt in der Schweiz auszugehen. Für einen längerfristigen Aufenthalt steht das Asylverfahren zur Verfügung. Oft wird die akute Gefährdung jedoch als temporär eingeschätzt, weshalb diese Personen nicht auf ein Asylverfahren angewiesen sind, sofern sie auf die aktive Unterstützung ihrer Organisation zählen können. In diesen Fällen sieht die Schweiz die Möglichkeit vor, humanitäre Visa zu erteilen (siehe unten). 

Es wird darauf hingewiesen, dass eine temporäre Ausreise in die Schweiz mit Risiken verbunden ist. Sie kann logistische und emotionale Probleme nach sich ziehen. Zudem kann die Reintegration ins Heimatland nach einem längeren Aufenthalt im Ausland mit zusätzlichen Schwierigkeiten verbunden sein. Die politische Situation hat sich unter Umständen kaum verbessert und eine allfällige mediale Präsenz des Rückkehrers kann neue Schwierigkeiten mit sich bringen. 

Visatypen 

• Humanitäres Visum: Seit 2012 ist die Einreichung von Asylgesuchen auf Schweizer Vertretungen im Ausland nicht mehr zulässig. Für verfolgte Personen, einschliesslich MRV, besteht jedoch die Möglichkeit, vorbehaltlich der Zustimmung durch das SEM, ein humanitäres Visum zu erhalten. Voraussetzung ist, dass eine Person im Heimat oder Herkunftsstaat unmittelbar, ernsthaft und konkret an Leib und Leben gefährdet ist. Referenzdokument: Weisung des SEM vom 6. September 2018. 

• Visa für die Teilnahme an internationalen Konferenzen und Tagungen: MRV können eingeladen werden, der Schweiz im Rahmen des «International GenevaAbkommens» einen Besuch abzustatten z. B. zur Teilnahme an Tagungen internationaler Organisationen, mit denen die Schweiz ein Sitzabkommen hat. 

• Anträge für Visa dieser Kategorie fallen in die Zuständigkeit des EDA oder der Ständigen Mission der Schweiz in Genf. ReferenzDokument: Information for people travelling to Switzerland within the «International Geneva» context. Die Schweizer Vertretung kann die antragstellenden MRV auf verschiedene Weise unterstützen. Unterstützungsleistungen der Vertretung 

• Primär regionale Lösung: Erörterung der Möglichkeit, dass die MRV in einer anderen Stadt oder in einem Nachbarstaat Zuflucht findet.

• Beratungsgespräch: Kann keine adäquate regionale Lösung gefunden werden, werden den MRV das Schweizer Visaverfahren und die einzuhaltenden Bedingungen erläutert. Die Vertretung weist die MRV darauf hin, dass die Prüfung eines Visumantrags Zeit in Anspruch nimmt, dass der Antrag daher rechtzeitig eingereicht und die formellen Vorgaben eingehalten werden müssen. 

• Erfassung in ORBIS und Beurteilung: Im Falle eines humanitären Visums erfasst die Vertretung die Antragsdaten im System ORBIS und leitet den Visumantrag an das SEM weiter. Sie fügt einen Aktenvermerk mit einer kurzen Stellungnahme bei. 

• Kontakt: Die Auslandvertretung kann jederzeit mit der Bundesverwaltung in Bern (AMS, SEM) oder der Mission in Genf Rücksprache nehmen, falls sich Unsicherheiten bei der Legitimität eines Visumantrags ergeben, oder um in dringenden Fällen Unterstützung zu beantragen. 

https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/rechtsgrundlagen/weisungen/auslaender/einreisech/20180915weisvisumhumanitaerd.pdf 

https://www.eda.admin.ch/missions/missiononugeneve/en/home/manualregimeprivilegesandimmunities/introduction/manualvisas/schengenvisasentryexittravel.html 

• Unterstützung der Auslandvertretungen

• Die Schweizer Leitlinien zum Schutz von MRV werden regelmässig überarbeitet und an die aktuellen Umstände angepasst. Damit soll sichergestellt werden, dass die Leitlinien stets aktuell bleiben und neu gewonnene Erkenntnisse einfliessen. Im Jahr 2019 wurde eine erste Revision durchgeführt, die insbesondere den Rückmeldungen des Aussennetzes Rechnung trug. 

• Innerhalb des EDA ist die Abteilung Menschliche Sicherheit (AMS) das Kompetenzzentrum für Fragen zu den MRV. Um einen Überblick über die Aktivitäten der Auslandvertretungen zu behalten, ist die AMS auf eine regelmässige Berichterstattung angewiesen: 

• Benötigte Informationen über die MRV 

• Die Situation von MRV soll in den jährlichen Menschenrechtsbericht einfliessen. 

• Situationen unmittelbarer Gefährdung von MRV sind der AMS so schnell wie möglich zu melden. In Fällen, in denen die Schweiz interveniert hat, ist ein Monitoring der wichtigen Entwicklungen durchzuführen. 

• Die AMS bietet ihrerseits Dienstleistungen für Schweizer Auslandvertretungen an, die sich für MRV engagieren wollen. Sie steht insbesondere zur Verfügung, um Massnahmen zu diskutieren, wenn die Schweizer Vertretung mit einer Notsituation im Zusammenhang mit einer bzw. einem MRV konfrontiert ist. 

Kontakt: 

Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.

Dienstleistungen der AMS

• Prüfung der von den Vertretungen gemeldeten Notfälle und Koordination mit den anderen zuständigen Dienststellen der Bundesverwaltung. 

• Diskussion mit den Vertretungen über die Situation der MRV im Land oder über Einzelfälle und Beratung betreffend die weiteren Schritte. 

• Warnmeldung, wenn die Situation der MRV im Land einen gewissen Besorgnisgrad erreicht. 

• Austausch von Informationen, einschliesslich Expertenberichte, und weiteren sachdienlichen Materialien zum Thema MRV. 

• Wo dies aus Ländersicht nötig und sinnvoll ist, wird die Situation der MRV bei den Entsendegesprächen thematisiert. 

• Briefings für Mitarbeitende von Vertretungen, die eng mit MRV zusammenarbeiten (insbesondere Beraterinnen und Berater für menschliche Sicherheit). 

• Ausbildungsmodul zum Thema MRV für angehende Diplomatinnen und Diplomaten. 

• Die den Vertretungen zur Verfügung gestellten Kleinkredite können insbesondere für Projekte zur Unterstützung von MRV verwendet werden. Die AMS ist zudem bereit, alle konkreten Projekte zu prüfen, die ihr zu diesem Thema vorgelegt werden (auch ausserhalb der Kleinkredite). 

Anhang I: 

Beispiele: 

Dringende Intervention zugunsten eines MRV in einem zunehmend restriktiven Kontext, der von einer fortschreitenden 

Unterdrückung abweichender und kritischer Stimmen gekennzeichnet war, wurde der Präsident der lokalen Sektion von Amnesty International im Juli 2017 von den Sicherheitskräften des Landes X während eines Workshops verhaftet, an dem mehrere MRV teilnahmen. Er wurde in Haft gesetzt und von den Justizbehörden des Landes unter anderem wegen «Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung» angeklagt. 

Vor diesem Hintergrund intervenierte die Schweiz nach Konsultation und Genehmigung durch die Sektion MRP (AMS) und die zuständige geographische Abteilung zunächst bilateral über ihre lokale Vertretung. Obwohl eine Demarche in diesem Zusammenhang politisch sensibel ist, wurde ein Eingreifen als notwendig erachtet, denn Amnesty International ist nicht nur eine Organisation, die aufgrund ihres Einsatzes für die Menschenrechte einen weltweiten Ruf geniesst, sondern auch eine langjährige Partnerin des EDA. In der Folge nahm die Schweizer Vertretung vor Ort an der Gerichtsverhandlung des MRV teil. Zudem intensivierte die Vertretung die bilateralen Demarchen – allein oder im Verbund – gegenüber verschiedenen Regierungsstellen. Der Fall wurde auch mehrfach in Erklärungen auf multilateraler Ebene, insbesondere vor dem Europarat, ausdrücklich thematisiert. Der MRV wurde schliesslich nach 14 Monaten Haft entlassen. Die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft in diesem speziellen Fall trägt dazu bei, weitere Menschenrechtsverletzungen wie Folter oder erniedrigende Haftbedingungen zu verhindern. Seine Freilassung zeigt auch, wie wichtig regelmässige Interventionen sind, um letztlich politische Entscheidungen beeinflussen zu können.

Administrative Probleme eines MRV 

Eine Partnerorganisation wandte sich an die Sektion MRP, um für einen MRV aus einem asiatischen Land ein Visum zu erwirken, damit dieser an einer Sitzung des MRR in Genf teilnehmen konnte. Der Journalist wurde seit einigen Jahren von den Behörden seines Landes schikaniert. Zwischen 2014 und 2016 sass er zudem mehr als 1300 Tage in Haft. Obwohl der MRV von der Schweizer Botschaft in seinem Land ein Visum erhalten hatte, befürchtete er, dass die Behörden seines Heimatstaats ihn daran hindern könnten, nach Genf zu reisen. 

In diesem Fall war eine Intervention der Schweiz angezeigt, da der MRV an einer UNO-Veranstaltung in Genf teilnehmen wollte und eine Partnerorganisation den Fall der Schweiz zur Kenntnis gebracht hatte. 

Formelle Koordinationsgruppe für bedrohte MRV 

In einem afrikanischen Land steigt seit 2015 der Druck auf die Zivilgesellschaft sowie auf kritische und oppositionelle politische Stimmen. Verhaftungen und Verurteilungen von Journalisten und MRV nehmen zu. 

Als Reaktion auf die immer zahlreicheren Übergriffe schlug das Schweizer Kooperationsbüro dem lokalen Büro des Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) vor, ein Koordinationsprojekt zum Monitoring von Fällen bedrohter oder verurteilter MRV zu starten. Ziel dieses Projekts ist es, Informationen über spezifische Fälle auszutauschen, Verantwortlichkeiten zu teilen (burden sharing) und eine bessere Koordination im Falle einer Intervention oder Demarche zu gewährleisten. Im Juni 2018 wurde eine formelle Gruppe gebildet, der die Schweiz, die Europäische Union (EU), die 

EUMitgliedstaaten, die Afrikanische Union, die Vereinigten Staaten und das Büro des Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) angehören. Dieses Projekt gilt als BestPracticeBeispiel, da Doppelarbeit vermieden und eine Aufgabenteilung gewährleistet wird, die häufigere Interventionen ermöglicht. 

Wirtschaft und Menschenrechte 

Die Freiwilligen Grundsätze für Sicherheit und Menschenrechte (VoluntaryPrinciples) gehen auf eine gemeinsame Initiative von Regierungen, Unternehmen und NGO zurück. Die Initiative fokussiert auf Sicherheitsfragen und zielt darauf ab, Menschenrechtsverletzungen durch private oder öffentliche Sicherheitskräfte im Kontext der Rohstoffförderung zu verhindern. In den letzten Jahren wurden in mehreren Ländern nationale und regionale Arbeitsgruppen eingerichtet, die als DiskussionsPlattform zwischen diesen verschiedenen Akteuren dienen, um auf konkrete Situationen einzugehen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppen diskutieren und tauschen sich aus, um bewährte Verfahren zum Schutz von MRV zu entwickeln. In Guatemala zum Beispiel bekundeten verschiedene Akteure Interesse an der Bildung einer solchen Gruppe. Die Schweizer Botschaft in GuatemalaStadt setzte in Zusammenarbeit mit anderen Staaten, die der Initiative beigetreten sind, eine Arbeitsgruppe ein. 

In Kolumbien unterstützte die Schweiz über ihre Botschaft das Projekt einer lokalen NGO zur Entwicklung von Leitlinien, die ein verantwortungsbewusstes und die Menschenrechte achtendes Handeln der Unternehmen zum Ziel haben. Dieser praktische Leitfaden bietet den Unternehmen Anstösse für die mögliche Interaktion mit den lokalen Gemeinschaften und ihre 

Vertreterinnen und Vertretern, die für deren Interessen einstehen. Diese Leitlinien werden mittlerweile von einer Gruppe von Schweizer Unternehmen in Kolumbien umgesetzt. 

Die Schweiz hat es sich nehmen lassen eine Eigene Version zum Schutze von Menschrechtsverteidiger zu erstellen.